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Illustration von Monika Stein-Böving

Der Ritt auf dem Herbstwind

 

„Gehe nicht in das Tal der Stürme, lieber Kolja“, sagte Iwan Iwanowitsch zu seinem Sohn, „und hüte dich, den Schlüssel unter der Fußmatte hervorzuholen, mit dem man die Kette des Herbstwindes aufschließen kann!“

Was aber tat der Junge, kaum dass die weiße Lammfellmütze seines Vaters zwischen den gelben Sonnenblumen verschwunden war? Er angelte sich den Schlüssel und marschierte damit in das Tal der Stürme. Anfangs vernahm Kolja nur ein leises Pfeifen und Sausen in den Baumwipfeln. Nach und nach aber wurde das Brausen so stark, dass der Junge seine Kappe über die Ohren ziehen musste. Bald bogen sich die Stämme der Bäume, Äste knarrten, Blätter wirbelten durch die Luft. Und dann stand der Junge vor dem Herbstwind.

Der wilde Geselle lag schlafend im Gras neben dem mächtigen Eichbaum, an den ihn die Bauern gekettet hatten. Die Kette wurde von dem größten Vorhängeschloss zusammengehalten, das im Dorf aufzutreiben war.

Ängstlich starrte Kolja auf den schwarzen, zottigen Riesen. Der Herbstwind schnarchte und prustete solche Ströme von Luft aus den geblähten Nüstern, dass sich der Junge an einem Bäumchen festklammern musste.

Weil der Wind die Luft aber nicht nur ausstieß, sondern auch ebenso heftig einatmete, wurde Kolja von seinem Bäumchen losgerissen und geriet in das linke Nasenloch des Ungeheuers. Darüber wachte der Herbstwind auf und musste niesen. Wie ein Geschoss wurde der Junge ein Stück in den Wald hineingeschleudert. Der Sturm aber begann ohrenbetäubend zu brüllen, hob sich in die Luft empor und wirbelte mit großer Geschwindigkeit um die Eiche herum, dass die Blätter nur so davon stoben. Als er sich ausgetobt hatte und sich wieder unter dem Baum niederließ, um sich zu verschnaufen, sah er Kolja zwischen den Farnkräutern sitzen. In der Hand des Jungen glänzte ein Schlüssel. Das schien den Sturm ein wenig milder zu stimmen.

„Was willst du denn hier?“, zischte er.

„Och, nichts“, sagte Kolja scheu und musste ein Stück in den Wald hinein laufen, um seine Mütze zu holen. Der Atem des zottigen Gesellen hatte sie ihm davongeblasen. Als er wieder zurückkam, knurrte der Herbstwind etwas leiser: „Lieber Junge, ich sehe einen Schlüssel in deiner Hand. Willst du nicht näher kommen und ihn mir zeigen?“

„Kommt nicht in Frage!“, rief Kolja, der genau wusste, was der Wind beabsichtigte. „Außerdem schreist du so laut, dass man sich die Ohren zustopfen muss.“

„Du fürchtest dich doch nicht etwa vor mir?“ Der Herbstwind säuselte jetzt so leise, dass er fast an seinen eigenen Worten erstickt wäre. „Sicher willst du ein bisschen auf meinem Rücken reiten, was?“

Das war nun eher nach dem Geschmack des Jungen. Er trat einige Schritte näher, und- hast du nicht gesehen! – saß er auf dem breiten Nacken des Untiers...

 

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