Weinerlich und Leuchteprinz
Im Land des Königs Weinerlich war alles traurig. Das Wasser in den Bächen
seufzte und klagte, der Wind in den Bäumen heulte gar jämmerlich, die Häuser ließen ihre Dächer schaurig traurig nach unten hängen, und selbst die Mundwinkel der Menschen waren abwärts gebogen wie
Sicheln, und tiefe Falten zogen sich von den Nasenflügeln herab. Und warum das alles? Weil König Weinerlich das Lachen verboten hatte. Es war nur in Ausnahmefällen erlaubt zu lachen, zweimal die
Woche, mit dem Lacherlaubnisschein und zeitlich bemessen auf jeweils zehn Sekunden. Wer mehr lachte, musste Strafe zahlen. Das füllte die königliche Staatskasse, und damit wurden die Staatsempfänge,
bei denen es regelmäßig Weintrauben und Sauerkraut zu essen gab, und der Aufmarsch der königlichen Wachkompanie bestritten. Kurzum: In diesem Land zu leben war eine Qual, und selbst die Prinzessin
Niedlich, die immer wieder gerne einmal gekichert hätte, wie es Prinzessinnen für gewöhnlich zu tun pflegen, hatte rotgeränderte Augen und runzlige Füße, weil sie damit das Sauerkraut einstampfen
musste.
Es gab nun aber einen Königssohn Leuchteprinz, der in die Prinzessin verliebt
war und gern um ihre Hand angehalten hätte, wenn, ja wenn nicht alles so traurig gewesen wäre.
„Wie kann ich es nur anstellen, dass wieder Fröhlichkeit in diesem Lande
einzieht?“, dachte er bei sich.
„Gehe doch zur Fee Wundermild!“, sagte sein alter Schirmständer, der ihm schon
so lange gedient hatte, dass er ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen konnte. „Vielleicht weiß die einen Rat.“
„Und wie finde ich diese Wundermild?“, erkundigte sich der
Prinz.
„Sie wohnt am Ende der Welt“, sagte der Schirmständer. „Du gehst zuerst
zweihundertvierundsechzig mal geradeaus, dann zweihundertfünfundsechzig mal nach links, und dann zweihundertsechsundsechzig mal nach rechts, immer abwechselnd. Da wirst du sie finden, sie ist gar
nicht zu verfehlen.“
Also packte der Prinz den kugelsicheren Freizeitrucksack mit dem ergonomisch
gepolsterten Rückenteil, gürtete sein keltisches Heldenschwert um und machte sich auf den Weg.
Viele Abenteuer waren zu bestehen, bis er an das Ende der Welt kam. Er musste
durch die Stromschnellen des Tausendflusses fahren, die Sümpfe des ewigen Gestankes durchqueren, über die riesighohen Gipfel des Eisgebirges klettern und den gefährlichen Wald der Hinterlist
überwinden. Er kämpfte mit dem Drachen Isodur, floh aus den Fängen der gefährlichen Flusspiraten, übertölpelte den Zauberer Wackelzahn, schlug dem Gelbgefleckten Krempling den Hut vom Kopf und
kämpfte gegen die wildgewordenen Windmühlen von La Pancha. Schließlich war er am Ziel. Wie allseits bekannt endet die Welt in einem schwarzen Loch. Und vor diesem Loch hockte eine riesige, hässliche
Kröte.
„Küsse mich!“, sagte die Kröte zum Prinzen.
„Mir graut vor deiner hässlichen Gestalt!“, rief Leuchteprinz. Aber dann küsste
er sie doch. Da machte es blubb, und vor ihm stand die Fee Wundermild.
„Weil du mich geküsst hast, werde ich dir helfen“, sagte die Fee, nachdem sie
einen heißen Kaffee getrunken hatten. (Feen sind nämlich leidenschaftliche Kaffeetrinkerinnen, am liebsten ist ihnen der brasilianische Hochlandkaffee, fein gemahlen und röstfrisch zubereitet, ohne
Zucker und schwarz wie ein Rappe in einer lappischen Neumondnacht.)
„Hier hast du einen Sack voll Kichererbsen.“
„Was soll ich mit Kichererbsen?“, erkundigte sich der Prinz. „Die schlagen sich
mir auf den Magen.“
„Du sollst sie nicht essen. Streue sie auf den Boden, wenn König Weinerlich die
Parade abnimmt. Ungekocht natürlich.“
„Der König nimmt ungekocht die Parade ab?“, wunderte sich
Leuchteprinz.
„Die Kichererbsen sollen ungekocht sein, du Trottel“, sagte die Fee. „Dann wird
sich alles, alles ändern.“
Den Kichererbsensack auf dem Rücken, machte sich der Prinz, nachdem er sich bei
der Fee, die nunmehr wieder eine Kröte geworden war, mit einem Abschiedskuss bedankt hatte, auf den Rückweg. Abermals musste er den gefährlichen Wald der Hinterlist durchqueren, das Eisgebirge
übersteigen, durch die Sümpfe des ewigen Gestankes waten und über die Stromschnellen des Tausendflusses rudern.
Endlich war er wieder in der Heimat und kam gerade zurecht, wie der König
Weinerlich die Parade der Wachkompanie abnahm. Der Prinz, nicht faul, griff hurtig in seinen Kichererbsensack und streute, kicher kicher kicher, die Erbsen mit vollen Händen zwischen die strammen
Soldatenbeine. Sie rollten, kuller kuller kuller, über den Fußboden, hüpften zwischen den Füßen des Königs und seines Hofgesindes herum, sprangen in die Stiefel der Leibdiener, in die Filzpantoffel
der Minister und unter die Röcke der Hofdamen. War das ein Gelächter und Gekicher, als die paradierenden Grenadiere auf den Erbsen aus dem Gleichgewicht gerieten, erst ins Schwanken, dann ins Rollen,
dann ins Fallen kamen, ein ungeheures, wogendes Durcheinander von Armen, Beinen, Nasen, Schnurrbärten und Bärenfellmützen. Alle Zuschauer aber, Hofdamen und Hofdiener, Höflinge, Bücklinge, Heringe
und Ohrringe, kamen, ehe sie sich´s versahen, ebenfalls ins Schlingern und wälzten sich, hilflos um sich schlagend, auf Boden und Parkett. Schließlich konnte auch der König nicht mehr an sich halten.
Erst schmunzelte er, dann kicherte er, schließlich brüllte er vor Lachen. Sein Bauch wackelte so, dass der Leibmedikus herbeisprang und ihm eine Leibbinde umlegte aus Angst, sein Bauch würde
zerplatzen. Weil aber der König lachte, tat es ihm auch alles Volk nach, und bald herrschte die größte Fröhlichkeit und der ausgelassenste Lärm in den Sälen des Schlosses und auf den Straßen der
Stadt, und auch die Prinzessin Niedlich lachte so allerliebst, dass sich der Prinz gleich noch einmal in sie verliebte. Und als er sie fragte, ob sie seine Gemahlin werden wolle, sagte sie errötend
(bei solchen Gelegenheiten ist es auch für Prinzessinnen üblich zu erröten): „Ja.“
Was soll man weiter noch erzählen! Von nun an herrschten Heiterkeit und
Fröhlichkeit im ganzen Land. Die Hochzeit des Prinzen Leuchteprinz mit der Prinzessin Niedlich war ein großartiges und lustiges Fest, es gab Kichererbsensuppe, Lachtrauben in Lachschaumsoße,
Lachteleier und Wildschlachbraten mit Heiterbeermarmelade. Das Lachverbot wurde aufgehoben, denn der Hof einschließlich des Königs hatte so viel gelacht, dass wegen der Lachstrafe das Staatsdefizit
ins Unermessliche gestiegen wäre. Man ersetzte das Lachverbot durch eine Weinsteuer mit Heulzulage, die Wachparade wurde in Lachparade, König Weinerlich in König Lächerlich umgetauft. Das Volk aber
lebte von nun an frohgemut und zufrieden, lachte von früh bis spät und heulte, wenn überhaupt, nur mehr zweimal die Woche jeweils zehn Sekunden, auf schriftlichen Antrag.