Fridolin macht einen Ausflug
Fridolin saß im Garten und ließ seine Seele baumeln. Der Himmel war blau, wie es
sich für einen schönen Sommertag gehörte, die Schmetterlinge flatterten durch die Luft, als hätten die bunten Blumen rundum Flügel bekommen, die Vögel zwitscherten in den Bäumen. Aber horch! Mischte
sich da nicht ein falscher Ton in den Finkenschlag auf dem Ast über ihm? Fridolin hob die Augen.
„Was tun denn Sie da oben, Herr Kusebauch?“, fragte er
erstaunt.
„Ich mache einen Ausflug“, sagte der Automechaniker Kusebauch. „Kommen Sie mit?“
„Aber ich habe doch keine Flügel, so wie Sie“, meinte Fridolin.
„Unten bei der Hexe Tunichtgut am Fluss gibt es welche“, sagte Herr Kusebauch.
„Ich warte hier auf Sie.“
Die Hexe stand am Gartenzaun und war gerade dabei, junge Giftzwerge
umzutopfen.
„Flügel wollen Sie haben?“, fragte sie. „Das lässt sich machen.
Schuhgröße?“
„Fünfundvierzig. Wieso wollen Sie meine Schuhgröße wissen?“, erkundigte sich
Fridolin.
„Nach der Schuhgröße bemisst sich die Flügelspannweite. Schuhgröße mal π mal die
Ortshöhe über Normalnull geteilt durch hundert. Ist ganz einfach.“
„Und was kostet das?“, fragte Fridolin. „Bei Hexen ist bekanntlich nichts
umsonst.“
„Och, fast nichts“, sagte die Hexe Tunichtgut und rieb sich ihre lange Nase, in
die gerade ein Giftzwerg hineingebissen hatte. „Beinahe geschenkt.“
„Was heißt fast nichts?“
„Geben Sie mir Ihr Unterbewusstsein. Ihr Unterbewusstsein gegen ein Paar schöne
Flügel.“
„Mein Unterbewusstsein? Aber dann habe ich doch keines
mehr!“
„Sie werden es nicht vermissen“, meinte die Hexe. „Das ist so wie beim Blinddarm.
Wenn er weg ist, spürt man nichts mehr von ihm. Von ein paar Gramm Gewichtsverlust abgesehen. Und Träume haben Sie auch keine mehr.“
„Tut es sehr weh?“, erkundigte sich Fridolin. „Ich meine, die
Transplantation.“
„Ist rein geistiger Natur“, sagte die Hexe. „Sie merken gar nichts davon. Schnipp
schnapp schnipp schnapp schnipp schnapp!“ Sie schnalzte dreimal mit den Fingern, dann hatte Fridolin sein Unterbewusstsein los und zwei hübsche kleine, weiße Flügel dort, wo sich die Schulterblätter
befanden.
Fridolin und der Automechaniker Kusebauch machten sich sofort auf den Weg. Wie
herrlich war es, hoch oben im Himmelsblau über die Lande zu fliegen! Die Felder und Wälder wie ein bunter Teppich, durchwirkt von den silbern glänzenden Bändern der Flüsse, dazwischen die Autos wie
langsam dahinkriechende Käfer, die Züge wie Spielzeugeisenbahnen, die Schiffe wie winzige Modelle aus dem Baukasten.
Von den Bäumen am Seeufer stiegen die Reiher auf.
„Woher, wohin?“, fragten sie und Fridolin merkte, dass er nunmehr die Tiersprache
verstand.
„Nur ein kleiner Ausflug“, sagte er. „Ins Blaue.“
„Das Blaue ist im Süden“, riefen die Reiher. „Je weiter ihr nach Süden kommt,
desto blauer wird es.“
Und wie ging es dann weiter? Die beiden erlebten so manches Abenteuer, und der
Ausflug wurde lang und länger. In Australien durften sie einem Känguru in den Beutel schauen. Sieh da! Ein winzig kleines Känguru-Baby lag darin.
Im Kohlrabiland schlichteten sie einen Streit der Weißkohlköpfe mit den
Rotkohlköpfen, indem sie Prinzessin Rosenkohl aus der Hand des Weißkrautkönigs und Prinz Blumenkohl aus der Hand des Rotkrautkönigs befreiten. Die beiden wurden später ein wunderschönes
Brautpaar.
In der Sahara entdeckten sie einen liegengebliebenen Wohnwagen. Er gehörte der
Hexe Tunichtgut. Sie war im Sand steckengeblieben. Der Wohnwagen war zu schwer. Überladen. Die beiden Ausflügler flatterten nach unten und setzten sich auf das Autodach.
„Warum zaubern Sie sich nicht einfach wieder frei?“, erkundigte sich Fridolin.
„Sie können doch zaubern?“
„Bei Wohnwagen ist jede Zauberkunst umsonst. Da hilft nur der Abschleppwagen“,
sagte die Hexe.
„Wir helfen Ihnen gern“, meinte der Automechaniker Kusebauch. „Vorausgesetzt, Sie
geben uns unser Unterbewusstsein zurück. Wenn man träumt, schläft sich´s einfach besser.“
„Eine Hand wäscht die andere“, sagte die Hexe und knirschte ein wenig mit den
Zähnen.
So war das. Fridolin und Kusebauch bekamen ihr Unterbewusstsein zurück, und die
Hexe
Tunichtgut kriegte ihren Wohnwagen aus dem Sand
geschoben.
Glücklich und zufrieden kehrten die beiden Reisenden nach Hause
zurück.
„Das war aber ein langer Ausflug“, meinten Fridolin, während er seine weißen
Flügel in den Kleiderschrank hängte. „Jetzt werde ich zuerst einmal ausschlafen und ausgiebig träumen.“